[Rezension] Vera Buck- Das Buch der vergessenen Artisten

Limes Verlag
752 Seiten
ISBN- 978-3809026792





Klappentext


Die größten Geschichten beginnen an den ungewöhnlichsten Orten ...

Deutschland, 1902. Mathis, der dreizehnte Sohn eines Bohnenbauern, hat im Leben nicht viel zu lachen. Nur wenn der Jahrmarkt ins Dorf kommt, erhält er inmitten der bunten Buden, exotischen Menschen und technischen Neuheiten einen Einblick in die große, weite Welt jenseits der Hügel, die den Ort umgeben. Bis er mit fünfzehn beschließt, mit den Schaustellern davonzulaufen.

Nach über dreißig Jahren als Röntgenkünstler lebt Mathis mit seiner Partnerin, der Kraftfrau Meta, in einer Wohnwagensiedlung am Rande Berlins. Es sind düstere Zeiten für die Artisten: Auftrittsverbote werden verhängt, Bühnen dichtgemacht. Doch in geheimen Clubs und Künstlertreffs lebt die Vergangenheit weiter. Genau wie in dem Buch, an dem Mathis schreibt - einem Buch, das Geheimnisse birgt und unter keinen Umständen in die falschen Hände geraten darf.

Autoreninformationen


Vera Buck, geboren 1986, studierte Journalistik in Hannover und Scriptwriting auf Hawaii. Während des Studiums schrieb sie Texte für Radio, Fernsehen und Zeitschriften, später Kurzgeschichten für Anthologien und Literaturzeitschriften. Nach Stationen an Universitäten in Frankreich, Spanien und Italien lebt und arbeitet Vera Buck heute in Zürich. Ihr Debütroman »Runa« wurde von der Presse hochgelobt und für den renommierten Glauser-Preis nominiert.

Meine Meinung

Von Vera Bucks Erstling 'Runa' war ich seinerzeit absolut begeistert- ein derart fesselndes, niveauvolles und gut recherchiertes Werk hatte ich davor schon lange nicht mehr gelesen. Die Messlatte für ihr zweites Buch lag dementsprechend hoch.
Allerdings muss ich gestehen, dass das Zirkusleben nicht zu den Themenkomplexen zählt, die mich besonders interessieren. Ohne 'Runa' gelesen zu haben hätte ich deshalb wohl eher nicht zu diesem Buch der Autorin gegriffen- so jedoch musste ich natürlich wissen, welche Rolle dieser Rahmen hier spielt. Dieser Roman ist selbst das titelgebende Buch der vergessenen Artisten- eine Sammlung von Lebensgeschichten verschiedener Künstler in den Zeiten der Nazis. Und Hauptprotagonisten, um die sich die gesamte Handlung dreht, sind Mathis Bohnsack, ein Bohnenbauerssohn mit (leider) Bohnenallergie und Meta, seine Freundin, die als Kraftfrau arbeitet und für die Rechte der Frau eintritt. Diese beiden versuchen nun ihr Leben als Artisten in einer Welt und zu einer Zeit zu meistern, in dem Menschen, die von der propagierten Norm abwichen, nicht erwünscht waren. Alle Charaktere sind wirklich wahnsinnig liebenswert und detailverliebt ausgearbeitet- so sehr, dass man sie wirklich plastisch vor Augen hat. Es mangelt (auch aufgrund des Umfangs) also wirklich nicht an Details. Wie auch schon bei Runa hat die Autorin ein sehr langsames Erzähltempo gewählt und hetzt nicht durch die Geschichte. Allerdings gerät die Geschichte ob der grenzenlosen Detailverliebtheit auch manchmal ein wenig ins Hintertreffen. Ich fand, dass der rote Faden manchmal nicht so recht zu finden war und das ganze durchaus eine Kürzung an manchen Stellen vertragen hätte. Andererseits scheint das der Stil der Autorin zu sein- es ist kein Buch das man mal eben so wegliest- aber dafür hat es einiges zu bieten für diejenigen, die auf Charakterentwicklung und -ausgestaltung enormen Wert legen. Dieser Roman bietet die Möglichkeit, liebgewonnene Charaktere eine ganze Weile zu begleiten, mit ihnen Höhen und Tiefen zu erleben und sich in der Herzenswärme und Zuneigung zu ergehen, die die Autorin ihren Figuren entgegen bringt. Dennoch hätte ich den Inhalt an manchen Stellen etwas gerafft. Was ich sehr mochte war der stellenweise durchschimmernde ironische Unterton der Beschreibungen, Situationskomik und die Fähigkeit der Autorin, mit dem Leser und dessen Wissen, das sich von dem unterscheidet was die Charaktere inne haben, zu spielen. Beispielsweise parodiert sie Hitler sehr gekonnt oder portraitiert auf ironische Art und Weise einen Erfinder, den in den vierziger Jahren niemand ernst nahm weil er behauptet, eines Tages sei Videotelefonie möglich. Solche Seitenbemerkungen finden sich zuhauf in dem Buch- wenn der Leser aus heutiger Sicht diese Situation betrachtet, muss er einfach schmunzeln.
Ich kann nur sagen: (Wieder) ein sensibles Thema (die von den Nazis weggeschafften Artisten) gekonnt behandelt und mit dem entsprechenden Fingerspitzengefühl bedacht. Sehr empfehlenswert, wenn man bereit ist einem dickeren, detailreichen Buch eine Chance zu geben. Ich werde es bei der Autorin jedenfalls immer wieder machen. 

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