[Rezension] Julia Friese- MTTR


Wallstein Verlag
421 Seiten
25€
ISBN 978-3-8353-5257-5
*Rezensionsexemplar*

Worum geht's? 


»Alle Befürchtungen waren wahr, und alles war gerecht gewesen.«
Ein Test im Büro bringt die Gewissheit: Teresa Borsig ist schwanger. Von der Idee einer Familie fühlt sie sich gleichzeitig angezogen und abgestoßen. Da sind die Erinnerungen an ihre Kindheit, an Distanz, Disziplin und Schläge. In der Abtreibungsklinik von den Schwestern zum Schlucken der Tablette gedrängt, geht Teresa in den Widerstand: Sie will doch Mutter werden. Nein, Mama will sie werden. Kann man geben, was einem selber fehlt?
Das Gesundheitssystem nimmt die Schwangere auf wie einst die Eltern. Effizient. Kalt. Man will doch nur ihr Bestes. Und ihr Baby in einem Wärmebett isolieren. Wie hoch ist die Überlebenswahrscheinlichkeit ihres Säuglings? Ärzte und Schwestern sprechen über ihren Kopf hinweg. Teresa schreit. Sie solle sich mal nicht so wichtig nehmen, sagt das Krankenhaus.
»MTTR« erzählt von den Auswirkungen deutscher Nachkriegserziehung, erzählt die Unfähigkeit der Babyboomer, Gefühle zu zeigen, und wenn dann nur durch Ersatzhandlungen: Kauf, Korrektur und Sorge. Jeder Dialog ist eine Boshaftigkeit. Fast bemerkt man sie nicht, denn aktengraue Gefühlstemperatur und grobe Unbeholfenheit sind Alltag in Deutschland. Werden Millennials, wie Teresa, sie reproduzieren?

MTTR: Mean Time To Recover bzw. auch Mean Time To Repair (abgekürzt jeweils MTTR) wird als die mittlere Reparaturzeit nach einem Ausfall eines Systems definiert. Diese gibt an, wie lange die Wiederherstellung des Systems im Mittel dauert. Sie ist somit ein wichtiger Parameter für die Systemverfügbarkeit.


Meine Meinung: 

Das erste was mir bei diesem Roman auffiel war der Einband, der unzweifelhaft einen Uterus darstellt. Das ist eine mutige Wahl, aber auch eine sehr passende. 
Ich mag Mutige. Entsprechend gespannt war ich auf die Story. Eine riesige Stärke des Romans ist sein Schreibstil. Die Autorin vermag sprachlich wunderbare Bilder zu malen- sie tut dies aber nicht wie üblich mit ausschweifenden Beschreibungen, sondern mit Metaphern, absolut on-Point Aussagen und recht knappen Sätzen, die allerdings meiner Meinung nach sehr zu allem passen- denn der Roman wird aus der Sicht Teresas erzählt. Und der Schreibstil ist genauso, wie auch Gedanken durch den Kopf schießen würden, dabei verliert die Autor*in aber nie den Faden. 
Das eigentliche Thema- die Schwangerschaft Teresas- bildet mehr oder weniger den Rahmen für die Gesellschaftsbetrachtung mit der die Hauptfigur konfrontiert wird. Ein Kind zu bekommen ist ein eigener Mikrokosmos und man beschäftigt sich mit Dingen, die im bisherigen Leben vorher noch keine Bedeutung hatten- und ebenso lernt man entsprechende Menschen und ihren Umgang kennen. All dies passiert der Protagonistin. Sie macht sich komplexe Gedanken zu ihrer Situation und gerät in Kontakt mit einer Welt, die ihr bisher völlig fremd war. Mit sprachlichen Spitzfindigkeiten und Metaphern vermag es die Autor*in, die Lesenden bei der Stange zu halten. Es war mir zu keinem Augenblick langweilig, Längen konnte ich gleichfalls keine ausmachen. Im Gegenteil, ich finde Teresa sehr sympathisch und begleitete sie sehr gerne auf ihrem schwindelerregenden Weg. Eigentlich würde ich mir viel mehr solcher Romane wünschen- Romane, die mutig den Finger in die Wunde legen und Dinge ans Licht zerren, über die in Deutschland so ungern gesprochen oder die so widerstrebend beim Namen genannt werden. Unwiderruflich denke ich an meine eigenen Eltern, Großeltern, Tanten und Onkel. Ich kann nur bestätigen, was die Autor*in hier beim Namen nennt. Es gibt noch viel zu tun und es ruht dabei die Hoffnung auf der jetzt gerade erwachsenen Generation. Dieser Roman ist für mich eine große Überraschung gewesen, aber jetzt bin ich wirklich voll des Lobes und vergebe gerne 5/5 Herzchen. 

Meine Bewertung: 💙💙💙💙💙

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